METROPOLIS 2000

Originaltitel IL NUOVI BARBARI
Alternativtitel THE NEW BARBARIANS (USA)
WARRIORS OF THE WASTELAND, LOS NUEVOS BARBAROS (Spanien)
LES NOUVEAUX BARBARES (Frankreich)
   
Land und Jahr Italien 1982
   
Regie Enzo G. Castellari [= Enzo Girolami]
Produktion Fabrizio De Angelis & Claudio Grassetti
Drehbuch Lewis Taylor [= Tito Carpi] & Enzo G. Castellari
Kamera Roy Palmer [= Fausto Zuccoli]
Schnitt Gianfranco Amicucci
Musik Claude King [= Claudio Simonetti]
   
Darsteller George Eastman [= Luigi Montefiori] (One), Tymothy Brent [= Giancarlo Prete] (Skorpion), Fred Williamson (Nadir), Anna Kanakis (Alma), Thomas Moore [= Enio Girolami] (Shadow), Massimo Vanni (Mako), Venantino Venantini (Moses), Paolo Malco, Enzo Girolami, Giovanni Frezza (Genius), Iris Peynado (Nadirs Freundin), Andrea Coppola, Vito Fornari (ein Templar), Zora Kerova (Vinya), Fulvio Mongozzi, Enrica Saluti, Marinella Trojan, Matsy May Mclachlan, Franco Salamon, Stefano Randazzo, Ivano Silveri, Riccardo Petrazzi, Stefania Girolami, Paul Costello (Whizz) u. a.
   
deutsche Erstaufführung 10.06.1983
Verleih Ascot/Avis
Format 1:2,35
Laufzeit 84 Minuten (deutsche Kino-Version), Originallänge: 84 Minuten
Home-Entertainment Video:
UFA.

 

... Neuanfang! Das ausgerechnet der als Regisseur deftiger Macho-Riten bekannte Enzo Girolami eine vielschichtige und gesellschaftskritische Parabel über homoerotische Männerfantasien drehen würde, hätte sich wohl kaum ein Kenner italienischer Kino-Konfektionsware träumen lassen. Das er diese dann auch noch in der Zukunft ansiedelte, unterstreicht den expressionistischen Anspruch seiner Geschichte. Innerhalb seines begrenzten emotionalen Abenteuers zeichnet Castellari seine Helden als Heteros - und folglich die Bösen als Schwule. Genau genommen wird hier sogar Homosexualität als "schlecht" gebrandmarkt. Der Verklärungsversuch gesellschaftlicher Neurosen ist aber das einzige Manko und wird durch die Tatsache relativiert, dass sich auch die Guten wie Schwuchteln kleiden.

Die bewusst eingesetzte oder auch unfreiwillige Komik des simplen - weil ohne Budget entstandenen - Werkes mit seinen einfachen (Papp-)Kulissen und überzogenen, infantilen Dialogen, bleibt einem aber, angesichts aktueller Umweltkatastrophen wie schmelzender Polarkappen, fast im Halse stecken. Denn Castellaris Zukunft bedeutet: Unser schöner blauer Planet wird schon bald überall so aussehen wie die Kiesgrube vor Rom, in der IL NUOVI BARBARI gedreht wurde.

Dieses Muster verbindet all die schnell und billig zusammengeschusterten italienischen Endzeitfilme. Sie sind sozusagen eine Vorschau auf unsere zu erwartende Wirklichkeit. Der Rest der Menschheit führt hier uneinsichtig und barbarisch weiter was begonnen wurde: die gegenseitige Vernichtung. Doch die Botschaft des Regisseurs ist natürlich südländisch einfach. Es gibt keine Botschaft, Unterhaltung ist Trumpf! Bei der Gelegenheit möchte ich noch auf weitere italienische Wasteland-Exponate mit Prädikats-Siegel hinweisen: Joe D'Amatos ENDGAME (VPS), Tonino Riccis (aka Anthony Richmond) RUSH 2 (VPS), Giuliano Carnimeos THE EXECUTER (UFA), Ruggero Deodatos ATLANTIS INFERNO (CIC). Klassenbester in der Sparte Sorgfalt ist aber eindeutig Sergio Martinos FIREFLASH - DER TAG NACH DEM ENDE (Starlight). Immerhin wird dort schon auf eine Gefährdung der Gesundheit durch atomare Verseuchung hingewiesen.

Die Helden im Metropolis des Jahres 2000 (so deute ich den deutschen Titel) interessieren sich, trotz Verseuchung, für Wagenrennen, Wagenburgen und unaufwendige aber effektive Tötungsutensilien an ihren Fahrzeugen. Die Einstellung der Menschen der Zukunft trägt den Untertitel "Überlebensromantik". Die oben bereits angesprochenen Kenner wissen um die Art der Romantik. Des öfteren nehmen im Film die Akteure ihre Integralhelme ab - samt Kopf. Die hier dargestellte Entwicklung der Menschheit ist wohl eher im Jahre 3000 anzusiedeln, natürlich vor Christi Geburt. Außer einiger italienischer Stuntman, muss man besonders in den Bereichen Wohnen und Infrastruktur auf alles Angenehme und Liebgewordene verzichten.

Die Templar sind ein Haufen gleichgeschlechtliche Liebe frönender Desperados mit denkbar unsozialer Weltanschauung. Frauen sind auch in diesen Zeiten immer noch der gängige Weg der Fortpflanzung und gerade jenes möchte man gerne unterbinden bzw. den Rest menschlichen Daseins vernichten. One (in verschiedenen Nachschlagewerken ist auch von Owan die Rede), der mit grauen Strähnen und Schulterpolstern ausgestatteter Anführer der Templar, zeichnet sich einerseits durch seine offen zur Schau gestellten Sexualpraktiken, andererseits aber auch als Monologe haltender Selbstzweifler aus. Er ist der Oberschurke und seine Zukunft endet natürlich im beeindruckend feurigen Finale des Films.

Die Templar schüchtern ihre Umwelt nicht nur durch ihre in die Augen stechende Frisuren und modisch geschnittenen Overalls ein. Auch ihre eigenwillige Philosophie lässt dem Zuhörer kaum noch Raum für Kommentare. Die Hände zu Fäusten geballt, dabei würdevoll gekreuzt und die Arme bis zu den Achseln gehoben, hört man dem erleuchteten Vorbeter One zu: "Wir sind die Auserwählten, wir vollenden das apokalyptische Werk. Wenn wir unsere Aufgabe vollendet haben, werden die Menschen vom Antlitz dieser Erde verschwunden sein!" Immerhin klassifizieren sie ihr eigenes stupides Vorhaben als apokalyptisch.

Sehr gut ist auch die Idee, die griechische Schönheitskönigin Anna Kanakis in dem Streifen zu besetzen, denn ihre Performance ist schon beinahe genial. Sie verwechselt konsequent auf liebliche Art einen ihrer Schminkkurse mit Schauspielerei. Kaum zu glauben, dass Castellari hier auch noch konventionell funktionierenden Humor kreierte. Als Skorpion sich von seinem Weggefährten Nadir verabschiedet, sieht er - wohl zum ersten Mal - einen Mann (Nadir) mit einer Frau gemeinsam das Nachtlager teilen. Dieser Anblick lässt Skorpion für einige Augenblicke seiner Umgebung entrücken. Die größte Szene ist jedoch ohne Zweifel jene, in der Scorpio von den Templarn auf den berühmten Leisten gespannt wird, um von One rücklinks zu Tode gefickt zu werden. Für einen Augenblick erspäht man das blanke Hinterteil Giancarlo Pretes und schnell entledigt sich Luigi Montefiori seines Tiefschutzes. Was soll ich große Worte machen, Castellari setzt seinen Weg wenig puritanisch fort. Mit den bekannten Stilmustern spannungssteigernder Musik, schnellen Schnitten und Eastmans Schweißperlen benetzter Stirn, wird jedem sofort deutlich welch fröhlichem Anlass Ones Keuchen zu Grunde liegt. Hier haben wir wohl einen der Väter für Marsellus Wallace spätere Aussage: "Erzähl niemandem von dieser Nummer."

In einer Welt, die entweder aus Ungläubigkeit oder Unterwürfigkeit besteht, ist selbst der schon ein Held, der nicht irgend einer dieser Parteien angehört. Dass das italienische Kino erst gar nicht versuchte seine amerikanischen (oder australischen) Vorbilder zu leugnen, macht die Angelegenheit zu einer wundervollen Erfahrung.

Castellari, der diesen Beitrag zu postnuklearen Idealen selbst als Witz bezeichnete, drehte im selben Jahr auch seine etwas geschlosseneren RIFFS- Erfolge (THE RIFFS - DIE GEWALT SIND WIR, 1982; THE RIFFS II - FLUCHT AUS DER BRONX, 1982) und befindet sich damit in hochkarätiger Gesellschaft. Ruggero Deodato, Sergio Martino, Giuliano Carnimeo und sogar Lucio Fulci ergänzten das Genre nicht weniger eindrucksvoll. Castellaris Onkel Romolo Girolami zollte dem Untergang der Menschheit gleich zwei Studien. Dem in Deutschland bei Starlight-Video herausgekommenen und sehr unterhaltsamen ROCKIT - FINAL EXECUTOR, sowie BRONX EXECUTIONERS (Besitzer des letzteren, bitte melden!). Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Einmal Sehen ist besser als 1000 Mal Hören. Hier liegt der Fall jedoch anders.

© by MICHAEL CHOLEWA

 

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