NONNEN BIS AUF'S BLUT GEQUÄLT

Originaltitel FLAVIA - LA MONACA MUSULMANA (Italien)
FLAVIA - LA NONNE MUSULMANE (Frankreich)
Alternativtitel CASTIGATA - DIE GEZÜCHTIGTE (dt. Erstaufführungstitel)
DIE NONNE UND DER FREIBEUTER (dt. Alternativtitel)
FLAVIA - LEIDENSWEG EINER NONNE (dt. DVD-Titel)
FLAVIA - PRIESTRESS OF VIOLENCE (USA)
FLAVIA - THE HERETIC (Kanada/Großbritannien)
THE REBEL NUN (britischer Alternativtitel)
FLAVIA DEI MUSULMANI (ital. Alternatitvtitel)
FLAVIA - LA DEFROQUÉE (frz. Alternativtitel)
FLAVIA DE NON (Niederlande)
ONDSKABENS KLÖSTER (Dänemark)
FLAVIA - L'ECORCHÉE VIVANTE (Quebec)
FLAVIA - THE MOSLEM NUN (Arbeitstitel)
FLAVIA OF THE MOSLEMS (Alternativ-Arbeitstitel)
FLAVIA OF THE TURKS (Alternativ-Arbeitstitel)
   
Land und Jahr Italien, Frankreich 1974
   
Regie Gianfranco Mingozzi
Produktionsfirma P.A.C. (Rom) & R.O.C. (Paris)
Drehbuch Bruno di Geronimo, Raniero Di Giovanbattista, Fabrizio Onofri, Sergio Tau, Francesco Vietri & Gianfranco Mingozzi
Kamera Alfio Contini
Schnitt Ruggero Mastroianni
Musik Nicola Piovani
   
Darsteller Florinda Bolkan (Flavia), Maria Casarès (Agatha), Claudio Cassinelli (Abraham), Anthony Corlan (Ahmed), Spiros Focas (der französische Herzog), Diego Michelotti (Flavias Vater), Giuseppe Pertile, Rajka Juri, Guido Celano, Ciro Ippolito, Laura de Marchi u. a.
   
deutsche Erstaufführung 05.12.1975
Verleih A.B.-Filmverleih GmbH
Format 1:1,85
Laufzeit 90 Minuten (= 2463 Meter, deutsche Kino-Version); Originallänge: 99 Minuten
Home-Entertainment Video:
MCP (gekürzt als NONNEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT);
Redemption, Großbritannien;
Filmlab, Dänemark;
PAC, Italien;
Vogue/Astra Home, Kanada;
Star, Australien.
DVD:
X-Rated Kult-DVD/Bertucci Film Entertainment (ungekürzt als FLAVIA - LEIDENSWEG EINER NONNE);
Shriek Show, USA.

 

Nonnenfilme sind - ebenso wie ihre engen Verwandten, die Hexenfilme - nicht gerade für ihren überschäumenden Feminismus berühmt. Dessen war sich offensichtlich auch der frühere Dokumentarfilmer Gianfranco Mingozzi bewusst, welcher mit FLAVIA - LA MONACA MUSULMANA diesen Mangel zu beheben versuchte. In der Bundesrepublik Deutschland erhielt sein Werk allerdings Titel, für die die zuständigen Luschen auf den Scheiterhaufen gebracht werden sollten. Denn obschon FLAVIA sich hier und da etwas verzettelt, handelt es sich doch um einen inhaltlich interessanten und handwerklich ausgezeichneten Film, der vom Niveau thematisch vergleichbarer Exploitationer Lichtjahre entfernt ist.

Flavia ist keine stromlinienförmige Nonne. Zu Beginn sieht man sie, wie sie mit einer Freundin an einem Schlachtfeld vorbeikommt. Unter den hingemetzelten Orientalen findet sie einen (gutaussehenden) Soldaten, der noch nicht das Besteck gereicht hat. Sie hilft ihm, sehr zum Unbehagen der angstvollen Freundin.

Flavia ist die Tochter des Großinquisitors Don Diego, der sie einst in ein süditalienisches Kloster gesteckt hat. Als ausgebildete Nonne zweifelt sie nun an dem ungleichen Ordnungsprinzip ihrer Gesellschaftsform, welches die Entscheidungsgewalt ausschließlich Männern vorbehält. Don Diego hat Flavia den jüdische "Aufpasser" Abraham zur Seite gestellt, der zwar der einzige nette Mann des gesamten Films ist, aber die letztendlich herrschende Moral des Patriarchats unterstützt: Er erzählt ihr, dass geschrieben stehe, Eva sei gar nicht die erste Frau gewesen, sondern Lilith, welche entstanden war aus Kot und Abfall ... Diese typisch erniedrigende Deutung der Frau als minderwertige Kreatur widert Flavia an.

Zudem muss sie fast täglich miterleben, wie Frauen von Männern gedemütigt und ausgebeutet werden. In einer Szene etwa greift sich ein Scherge des Herzogs eine Bedienstete und vergewaltigt sie im Schweinestall. Dieser unschöne Symbolismus wird begleitet von einer ähnlich drastischen Szene: Ein nicht mehr benötigter Deckhengst verliert sein Gehänge unter dem Messer eines Bauern. Flavia beobachtet das Ereignis mit widerstrebenden Gefühlen.

Wieder im Kloster, hadert sie mit einem Kruzifix: "Warum ist Gott ein Mann?" Die alte Nonne Agatha, welche beeindruckend fortschrittliche Anschauungen pflegt und sich zur geistigen Ziehmutter Flavias entwickelt, kommentiert dies: "Verschwende nicht deine Zeit, indem du mit Statuen sprichst!" Nonnen, das weiß Agatha nur zu gut, werden von den Männern im Kloster geduldet, weil sie "Frauen ohne Geschlecht" sind. Unter Vorwegnahme der Psychoanalyse versteht Agatha, dass das Motiv, welches die Männer antreibt, die nackte Angst vor der sexuellen Überlegenheit der Frauen ist. Frauen müssen geschlagen, unterjocht, entmachtet werden.

Diese Theorie erfährt eine anschauliche Demonstration in einer besonders ekelerregenden Szene, in der ein Tribunal der Inquisition die Nonne Livia - zuvor durch unkeusche Handlungen aufgefallen - verhört und foltert. Die ausdrücklich sexuellen Foltermethoden (man schüttet ihr siedendes Blei über Brust und Scham) werden in der schwer erträglichen Szene kontrapunktiert mit Bildern von verschwitzten Männergesichtern, die das Schauspiel mit fast feierlicher Andacht verfolgen. Für Flavia, durch Zufall Zeuge dieses Vorfalls, ist das Maß damit voll. Sie greift sich Abraham und will mit ihm das Weite suchen. Aber die Schergen ihres Vaters finden sie und bringen sie ins Kloster zurück.

Die große Wendung kommt an dem Tag, da eine weibliche Götzenfigur eingeweiht wird, die "Madonna von Grottaglia". Kaum ist dieses Gegenstück zum männlichen Gekreuzigten erschienen, fallen schon die Muselmanen ein und morden, was das Zeug hält. Überzeugt davon, dass dies ein gottgesandtes Zeichen ist, schlagen sich Flavia und Agatha auf die Seite der Invasoren. Agatha wird von eigenen Soldaten mit einem Speer durchbohrt.

Und jetzt beginnt der Rachekrieg der entflohenen Nonne Flavia: Wie die wahnsinnige Kriemhild schaut sie bei der Stürmung des Hofes ihres Vaters zu, beobachtet das Gemetzel an den Trägern der patriarchalischen Ordnung. Auch gibt sie sich das erste Mal der verpönten Lust hin - mit dem muselmanischen Kriegsherrn. Das Kloster wird zu einem Ort der sexuellen Rebellion. Totale Anarchie beherrscht das Geschehen.

Am nächsten Morgen muss Flavia aber erkennen, dass auch der muselmanische Prinz nur ein weiterer kriegslüsterner Trottel ist, der Frauen für Geschöpfe zweiter Ordnung hält. Mit den verstümmelten Körpern geschändeter und getöteter Nonnen bleibt sie in den Ruinen des Klosters zurück. Auch Abraham musste sein Leben lassen. Es scheint so, als wären die Verhältnisse unabwendbar und hoffnungslos. Der Wahnsinn der Flavia war nur ein kurzes revolutionäres Aufwallen. Am Ende steht folgerichtig ihr Tod. In der Schluss-Szene wird sie von einem religiösen Gefolge feierlich gehäutet.

Die Ereignisse sollen sich im 14. Jahrhundert wirklich zugetragen haben. Das Massaker an den Nonnen und Mönchen gilt als "das Martyrium der 800 bei Otranto".

Liest man irgendwo von FLAVIA, so geschieht das meist in Publikationen mit intellektuellem Anspruch, für die der Subtext häufig entscheidender ist als der Film selbst. Gerade in diesem Zusammenhang mag es überraschen, dass Mingozzis Film fast durchweg verrissen wird. Der Haupt-Vorwurf lautet, Mingozzi missbrauche sein ernsthaftes Thema, um publikumswirksame Gewalt (extrem) und Sex (weniger extrem) vorzuführen.

So ganz kann man dem Regisseur nicht absprechen, die gezeigten Grausamkeiten zu übertreiben. Wenn zum hundertsten Mal eine von einem phallischen Speer durchbohrte Nonne oder ein sadistisch gepfählter Mönch ins Bild gerückt werden, so ist Botschaft allmählich klar; das andauernde Gemetzel erschöpft und enerviert eher, als dass es den angestrebten Zorn erzeugen könnte.

Dennoch bleibt FLAVIA ein durchaus ernstzunehmender Film, der gleichwohl einiger inhaltlicher Ungeschicklichkeiten eine ergreifende Geschichte erzählt, besonders in der ersten Hälfte. Was dem Film im zweiten Teil zu schaffen macht, ist das grundlegende Missverständnis der Autoren (= Männer), die Unterdrückung der Frauen durch das Patriarchat als eine rein sexuelle zu werten.

Trotz grundlegend richtiger Einsichten, fehlt auch Mingozzi - wie vielen seiner linken Kampfgenossen - etwas die Einbeziehung des Menschen als schwer berechenbares Wesen. Bei ihm ist der Fall etwas zu klar: Alle Nonnen sind sexuell entmachtete Wesen, für deren Befreiung im Grunde genommen nichts anderes nötig wäre als ein gesundes Geschlechtsleben. Anachronistische Parolen wie "Das Geschlecht einer Frau ist ihre Macht!" unterstreichen diese Tendenz.

Mingozzi macht die Befreiung der Flavia an ihrer Liebe zu jenem muselmanischen Soldaten vom Anfang fest, der sich im Verlauf der Geschichte für sie zu einer Art Ersatz-Jesus entwickelt. Natürlich werden durch diese Befreiung (das ist nur folgerichtig) auch die Monster entfesselt, welche das verkommene System selbst erzeugt hat. Dass die damit verbundene Verwüstung so fürchterlich ist, macht es dem Betrachter aber auch schwer, Sympathie für die entfesselte Klosterfrau zu empfinden. Aber das war vielleicht gar nicht im Sinne des/der Erfinder. Hier ging es eher um eine Polemik gegen die Zustände.

Wie falsch beraten der Film in ideologischer Hinsicht auch sein mag, seine emotionale Wirkung ist außerordentlich. Einerseits gestützt von der idyllisch-trügerischen Musik Nicola Piovanis, gelingt es andererseits vor allem der unauffälligen Kameraarbeit, die herben Vorgänge fast dokumentarisch erscheinen und damit den Zuschauer an den Ereignissen direkt teilhaben zu lassen. Mit diesem formalen Understatement erhalten die grellen Szenen des Films eine ganz andere Gewichtung.

Herausragend ist die Schluss-Szene, in der Mingozzi den langsamen Marsch des Tribunals zum Hinrichtungsort verfolgt, mit besonderem Blick auf die klerikalen Symbole und Insignien. Er fängt dabei auch die Gesichter und Handlungen einiger einfacher Dorfleute ein, die in herbem Kontrast zum leblosen Ritus der Richter stehen. Die ruhige Art, in der dies vorgebracht wird, ohne Musik, nur mit Geräuschen aus der Umgebung, erinnert an die beiläufige Schilderung von Schicksalshaften Akten, die Pasolini in seinen Filmen vorführte. Die Ereignisse nehmen ihren ungerechten Verlauf, ohne dass die Natur durch die Barbarei der Menschen im mindesten beeindruckt wäre.

© by CHRISTIAN KESSLER

 

 

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