DIE RACHE DER KANNIBALEN

Originaltitel CANNIBAL FEROX
Alternativtitel MAKE THEM DIE SLOWLY (USA, Publicity- & Videotitel)
LET THEM DIE SLOWLY (Titel im amerikanischen Print)
WOMAN FROM DEEP RIVER (Australien)
CANNIBAL FEROZ (Spanien & Portugal)
DE KANNIBALEN VALLEN AAN! (Niederlande)
KANNIBALEN MASSAKREN (Schweden & Dänemark)
   
Land und Jahr Italien 1981
   
Regie Umberto Lenzi
Produktionsfirma Dania Film, Medusa Distribuzione & National Cinematografica
Produktion Giovanni Masini
Drehbuch Umberto Lenzi
Story Umberto Lenzi
Kamera Giovanni Bergamini
Schnitt Enzo Meniconi & Alessandro Gabriele
Musik Budy & Maglione
Kostüme Giuseppe Bassan
Regieassistenz Riccardo Petrazzi
Schnittassistenz Alessandro Gabriele
Make-Up Giuseppe Ferranti
Spezialeffekte Giannetto de Rossi
   
Darsteller Lorraine De Selle (Gloria Davis [dt.: Dina]), John Morghen [= Giovanni Lombardo Radice] (Mike Logan), Bryan Redford (Rudy Davis [dt.: Gary]), Zora Kerova [= Zora Ulla Keslerova] (Pat), Robert Kerman [= Robert Bolla] (Lieutenant Rizzo), John Bartha [= Janos Bartha] (Drogendealer), Venantino Venantini (Sergeant Ross), El Indio' Rincon (Suarez, der Portugiese), Meg Fleming, Walter Lloyd u. a.
   
deutsche Erstaufführung 31.07.1981
Verleih Alemannia/Arabella Filmverleih GmbH
Format 1:1,85
Laufzeit 86 Minuten (deutsche Kino-Version); Originallänge: 93 Minuten (= 2544 Meter)
Home-Entertainment Video:
Arcade Video (83:35 Minuten);
Replay/VPD (ungeschnitten, matted);
Thriller Video, USA (ungeschnitten, als MAKE THEM DIE SLOWLY);
Video Classics, Australien (geschnitten, als WOMAN FROM DEEP RIVER);
Star Video, Italien (als CANNIBAL FEROX);
Magnum 3B, Italien (als CANNIBAL FEROX);
Constan Films, Spanien (86:51 Minuten, als CANNIBAL FEROZ);
Broadway/Carrére, Frankreich (89:11 Minuten, als CANNIBAL FEROX);
MPM, Frankreich (als CANNIBAL FEROX);
Filmitalus, Portugal (Vollbild, engl. mit portug. Untertitel, als CANNIBAL FEROZ) ;
Myrsine Home Video, Griechenland (ungeschnitten, als MAKE THEM DIE SLOWLY);
Video Invest, Schweden (geschnitten, 1:1,66, als KANNIBALEN MASSAKREN);
Royal Video, Dänemark (ungeschnitten, als KANNIBALEN MASSAKREN);
Vipco, Dänemark (88:54 Minuten, Vollbild, als CANNIBAL FEROX);
Continental Film Distributors, Hongkong (als MAKE THEM DIE SLOWLY);
Taishan International, Hongkong (als MAKE THEM DIE SLOWLY).
Laserdisc:
Grindhouse Releasing, USA (als MAKE THEM DIE SLOWLY);
Nikkatsu, Japan (ungeschnitten, Nackt-Szenen durch Digital-Filter entfremdet, als CANNIBAL FEROX).
DVD:
Sazuma, Schweiz (88:53 Minuten, als CANNIBAL FEROX);
Anchor Bay, USA (als MAKE THEM DIE SLOWLY).

 

Wenn Italiener in den Dschungel ziehen, gibt es was zu erleben:

Dina, ihr Bruder Gary und Freundin Pat sind nach Südamerika gereist, weil Dina gern ihren Doktor in Anthropologie machen möchte. Sie will beweisen, dass die Legende von den Menschenfressern nichts ist als leerer Wahn ist, ein Hirngespinst der weißen Bevölkerung, welche dieses nur als Vorwand nutzt, um die Eingeborenen in aller Seelenruhe ausrotten zu können.

Nachdem über den intellektuellen Hintergrund gut informiert wurde, und Pat noch schnell mit einem Polizisten in die Koje gegangen ist, geht's flussaufwärts auf der Suche nach einem Dorf mit dem Namen Manioca, wo ganz besonders gemeine Eingeborene hausen sollen. Schon die Überfahrt auf dem Boot lässt viel von der Grausamkeit des Landes erahnen. Nicht nur wird der Gruppe ein Ameisenbärchen mitgegeben, das nachts als Köder für giftige Schlangen herhalten soll, sie werden auch Zeuge, wie überdimensionale Schmetterlinge den Einheimischen als Zwischenmahlzeit dienen - mit schmatzend-offenem Mund vertilgt. Das ist Lenzi zum besseren Verständnis auch schon mal ein bis zwei Großaufnahmen wert.

Wieder an Land dauert es gar nicht lange, bis der mitgeführte Geländewagen bis zu den Achsen in den Schlamm gefahren und ein Weiterkommen nur noch ("Los, nun mal'n bisschen hastig!") per pedes möglich ist. So kommt man natürlich nur schleppend voran, wenngleich Gary zielstrebig mit der Machete Wege in das Dickicht haut und dabei zuweilen ein paar Eingeborene freilegt, die hinter einem Busch hocken und schmatzend frische Riesenmaden direkt vom Blattwerk mampfen. Dies reißt Lenzi erneut zu ein bis zwei Großaufnahmen hin.

Nachdem die Gruppe irgendwann ihr Lager aufgeschlagen hat, der Ameisenbär am nächsten Morgen angesichts der Attacke einer Anaconda seinen Dienst als Einweg-Wecker gebührlich verrichtet hat ("Armer Kerl. Da hilft nichts, so ist die Natur."), geht's weiter über Stock und Stein, bis aus dem Unterholz die Schreie einer Frau zu vernehmen sind. Als die drei schnell mal nachsehen, kommt jede Hilfe schon zu spät: Einige Eingeborene sind durch grausame Fallen getötet worden, schwarze Krabbelkäfer (die so klein sind, dass gut ist, wenn Lenzi sie in Großaufnahme präsentiert) laben sich bereits an ihren Wunden.

Doch plötzlich betreten zwei gehetzte Männer, Mike und Joe, die Szenerie, welche sich auf dem Weg zu dem - wie sie meinen - rettenden Fluss befinden. Zu fünft erreicht man diesen bald, wo sich Mike zur Darbietung seiner Geschichte hinreißen lässt: Er und sein verletzter Freund Joe wollten angeblich mit einem weiteren Kumpanen Smaragde und Coca suchen, um damit ein wenig Geld zu verdienen. Dabei wurden sie aber von Eingeborenen attackiert und konnten nur mit Hilfe eines Indianermädchens flüchten.

Nach der zweiten gemeinsamen Nacht im Dschungel stellt man morgens fest, dass Dina verschwunden ist. Die Suche nach ihr erfolgt in zwei Gruppen, wobei es allerlei spannungsfördernde Naturszenen mit bunten Tieren zu bewundern gibt. Gary und Joe geraten bei den Nachforschungen in ein fast verlassenes Eingeborenendorf. Dort bilden "Wilde" fortgeschritteneren Alters einen trübseligen Sitzkreis und zwei grausam dahin geschlachtete Menschen üben sich in der Dorfmitte in ihrer Verwesung. Pat und Mike finden indes Dina in einer tiefen Raubtiergrube, in der auch ein kleines Wildschwein um sein Leben quiekt. Dina wird von Mike befreit, das Schwein in der Grube von ihm sadistisch erstochen ("Warum hast du das Tier gequält?" - "Bist du im Tierschutzverein, du Ziege?").

Im Dorf trifft sich die Gruppe erneut, aber Mike möchte schleunigst wieder weg. Doch Joe fällt in einen Fieberwahn, so dass man sich zum Bleiben entschließen muss. Pat und Mike beschäftigen sich in ihrer Langeweile mit dem Ausüben sexueller Praktiken und dem Drogenkonsum. Dabei kommt Mike die Idee, es zu dritt mit einem Indianermädchen zu treiben. Schnell ist ein potentielles Opfer gefunden ("Wie die mit der Schildkröte spielt, macht mich verrückt!"). Mit Waffengewalt will Mike sie zur schmutzigen Hingabe ihres jungfräulichen Leibes zwingen ("Wenn du nicht brav bist, schneide ich dir die Titten ab! Wir wollen dir nur ein bisschen Freude machen!"). Im nachfolgenden Getümmel erschießt Mike das unschuldige Mädchen, was den herbeigeeilten Gary so in Rage bringt, dass er sich sofort mit Mike prügelt.

Ein aufschreckender Schrei Dinas lässt die Kampfhähne etwas abkühlen und zur Hütte eilen. Dort ist Joe fieberbedingt kollabiert und braucht dringend Hilfe. Mike weiß von einer Heilpflanze, die Besserung bringen könnte und entschließt sich nach dieser zu suchen. Derweil bricht der Abend an und die Eingeborenen bereiten ein Mahl aus der Schildkröte, die Mike tagsüber bereits zu sexueller Stimulanz gereicht hat. Ein Gericht übrigens, das man immer mal wieder - dank Lenzis detailreichem Inszenierungsgeschick - ohne Probleme auch am heimischen Herd nachkochen könnte.

Nachts erwacht Joe aus seiner Besinnungslosigkeit und verrät Dina und Gary die Wahrheit: Statt der bereits dargebrachten Schauergeschichte über den Angriff der Wilden verhielt es sich nämlich so, dass Mike und Joe einem Eingeborenen in den Dschungel gefolgt waren, der ihnen von einem Fluss erzählt hatte, in dem viele Smaragde zu finden seien. Als sich nach unzähligen Schürfversuchen immer noch kein Erfolg einstellte, wurde Mike - eh nur noch im Drogenrausch - aggressiv und bedrohte den Eingeborenen. Er glaubte, dieser habe die Smaragde bereits gefördert und im Dorf versteckt. Also zogen sie dorthin. Mike versuchte mit übelsten Foltermethoden (Auge raus, Schniedel ab) das angebliche Versteck des Schatzes aus dem Indio rauszupressen, jedoch ohne Erfolg. Nach einiger Tortur nahmen sie eine Eingeborene als Geisel und verschwanden. Damit hatten sie natürlich den Hass der Indios auf sich gezogen, die sie seitdem im Dschungel suchen, um ihnen die verdiente Bestrafung zukommen zu lassen.

Damit ist dann auch gleich erklärt, warum im Dorf nur alte, mümmelnde Kannibalen-Männer herumsitzen. "Mit seinen Untaten hat er in den Eingeborenen das wilde Tier geweckt!", lautet da die weise Erkenntnis aus Dinas Mund. Als sie noch darüber sinnieren, was nun zu tun sei, fällt ihnen auf, dass Pat gar nicht mehr anwesend ist. Mit Mike, dem Übeltäter, hat sie sich vom Acker gemacht und zudem alles, was noch halbwegs von Wert ist, mitgehen lassen.

Am nächsten Morgen ist Joe tot. Dina und Gary sind nur noch von dem Gedanken beseelt, möglichst schnell das Weite zu suchen, doch plötzlich erscheinen aus dem Busch die zurückkehrenden Kannibalen-Krieger. Diese inspizieren sofort die Hütten und finden den frisch verstorbenen Joe, der als Frühstück verkostet wird. So abgelenkt, gelingt Dina und Gary die Flucht, die sie zum Fluss führt. Dort jedoch werden sie von den aufgebrachten Kriegern geradezu umzingelt. Ein Entkommen ist unmöglich.

Von den "Wilden" ins Dorf zurückgebracht, gibt es hier ein Wiedersehen mit Pat und Mike, die ebenfalls von den Eingeborenen aufgegriffen wurden. Gary, Dina und Pat landen in einem im Fluss liegenden Käfig, in dem sie sich gierigen Blutegeln gegenübergestellt sehen. Mike hingegen wird an den Pfahl mitten im Dorf gebunden und sein Pullermann sofort einer schmerzhaften Beschneidung unterzogen. Nunmehr Unbenötigtes macht sich dabei auf der Leinwand noch als Zwischenmahlzeit für einen Kannibalen gut.

Am nächsten Tag verfrachtet man die vier Gefangenen auf Boote und bringt sie flussabwärts zu einem rituellen Opferplatz. Knapp an Land unternimmt Gary nach Absprache mit Dina einen weiteren Fluchtversuch, wobei er sich allerdings dummerweise als Versteck gegen die nach ihm ausschwärmenden "Wilden" just einen Abschnitt im Wasser sucht, in dem es vor Piranhas nur so wimmelt ("Piranhas! Aaahhh! Die ... die fressen mich auf!!!"). Von so viel Getöse angelockt und sichtlich verärgert, bringen die Eingeborenen Gary auf der Stelle mit einem Giftpfeil um.

Auf dem Opferplatz (der im übrigen dem ursprünglichen Dschungeldorf zum verwechseln ähnlich sieht) wird Mike in eine Erdgrube eingepfercht. Dina und Pat fristen derweil in einem sicheren Gefängnis ihr Dasein. Während der Nacht, in der sich die "Wilden" bei einem Lagerfeuer über ein kleines Krokodil hermachen (und dessen scheinbar mehr als einfache Zubereitung Lenzi abermals ekelhaft-detailfreudig ins Bild rückt), gelingt es Mike, sich aus seinem Erdloch zu befreien und einige der Eingeborenen hinterrücks zu ermorden. Obwohl er die Möglichkeit hätte, auch Dina und Pat zu befreien, lässt er sie in ihrem Knast zurück. Doch seine Flucht ist nicht von Erfolg gekrönt, denn bereits bei Tagesanbruch befindet er sich abermals in der Gewalt der wilden Krieger, die ihn als Denkzettel sofort eine Hand kürzer machen.

Die Eingeborenen haben derweil Dina und Pat aus ihrem Gefängnis entlassen. Während Dina mit Speeren in Schach gehalten wird, gehen die Dschungelbewohner zur Bestrafung von Pat über, die, mit bösen Haken an den Brüsten aufgeknüpft, alsbaldig ihr Lebenslicht ausbläst. Auch muss Dina mit ansehen, wie Mike die Schädeldecke abgehackt bekommt und sich die Wilden an dem offen gelegten Bregen gütlich tun.

Da mutet es schon fast seltsam an, dass die angehende Anthropologin nichts weiter von den Kannibalen zu befürchten hat - ganz im Gegenteil: In der folgenden Nacht befreit sie ein "Wilder" aus ihrer gefährlichen Lage und flüchtet mit ihr. Zwar überlebt der Helfer den nächsten Morgen nicht, da er in eine gemeine Falle läuft und bös' aufgespießt wird, aber Dinas Rettung ist perfekt, als zwei "zivilisiert" anmutende Burschen sie wenig später auflesen.

"Was Sie in diesem neuesten Kannibalen-Schocker erleben, ist so pervers, dass man es nicht beschreiben kann!" So tönt zumindest der Sprecher in dem alten deutschen Kinotrailer zu Umberto Lenzis durchaus nicht immer recht leicht zu goutierendem Dschungel-Schocker. Und Recht hat der Mann! Ganz anders als die Allesfresserwerke seines Kollegen Ruggero Deodato beherrscht Lenzi die Klaviatur der Vordergründigkeit und der Effekthascherei bis zur Perfektion. Insgesamt gibt es in CANNIBAL FEROX kaum etwas, was man seinem Gegenüber nicht mit Messer oder Machete abschneiden oder demolieren könnte. Von Zimperlichkeit weit und breit keine Spur.

Insbesondere die männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale dürfen ungeniert als Zielscheibe nicht nur verbaler Attacken ("Ich ritz' dir meinen Namen ein! Ich schneide dir die Titten ab!") herhalten. Giovanni Lombardo Radices kleines "Radieschen" muss ebenso dran glauben wie die etwas unterentwickelte Front der Zora Kerova, die sich für diesen Film wahrhaft kräftig in die Seile hängt. Aber alles gar nicht so schlimm: Die deutsche Kino- und Videofassung (in der Erstauswertung) hat natürlich Federn gelassen, obwohl sich die schlimmsten Momente des Films uneingeschränkt im Trailer zur Erstauswertung (wahrlich Tobak härtester Art) wiederfinden.

Umberto Lenzi, der sich schon für seinen zuvor abgedrehten Urwald-Schocker MANGIATI VIVI! so sehr schämte, dass er sich für diese Zelluloidentgleisung hinter dem Pseudonym Humphrey Humbert zu verstecken suchte, gibt hier wirklich Vollgas. Lenzi und seine Produzenten verbergen sich zwar gerne hinter einer papierenen Fassade aus Drogenproblematik und anthropologischer Taktiererei, aber welcher Zweck letztendlich mit diesem Film verfolgt wurde, ist selbst mit wohlwollendstem Blick einwandfrei zu erkennen. CANNIBAL FEROX arbeitet sich zügig von einem Mischmasch aus Krimi und Abenteuerstreifen zu einem blutrünstigem Amoklauf empor, der kaum nach einer wirklich greifbaren Geschichte verlangt. Von der Feinsinnigkeit eines Ruggero Deodato, der bereits mit ULTIMO MONDO CANNIBALE (aka MONDO CANNIBALE 2. TEIL - DER VOGELMENSCH) ein Referenzwerk auf diesem Gebiet vorlegte, ist Lenzi so weit weg wie der Pluto von der Sonne. Und das, obwohl er 1972 mit seinem IL PAESE DEL SESSO SELVAGGIO (aka MONDO CANNIBALE) doch eigentlich erst den Grundstein für dieses Subgenre legte.

Kannibalismus im Film gehörte vor IL PAESE DEL SESSO SELVAGGIO in nicht zu verachtender Gewichtung zu den Hauptbestandteilen eines halbwegs kassenträchtigen Mondo-Werks oder wurde in Spielfilmen allerhöchstens, nebst Hollywoodverklärter Urwald-Romantik, eher bescheidenen Abenteuerstreifen beigemengt und spielte dort auch nur eine begleitende Rolle. Mit IL PAESE DEL SESSO SELVAGGIO schuf Umberto Lenzi einen sehr rasanten und eindrucksvollen Abenteuer-Streifen, bei dem der Kannibalismus nun erstmals detailverliebt ins Zentrum des Geschehens rückte.

Der Legende nach wurde Lenzi - kurioserweise ebenso wie Lorraine De Selle in der Rolle der Dina in CANNIBAL FEROX - durch einen Zeitungsartikel auf möglicherweise existierende Eingeborenenstämme aufmerksam, die angeblich selbst im aufgeklärten 20. Jahrhundert noch Menschenfresserei betreiben würden.

Mit den Filmnamen der Darstellerin Lorraine De Selle nimmt es die deutsche Fassung übrigens nicht so sonderlich genau. Als De Selle nämlich als Hinweis auf ihre Entführung durch die Kannibalen ihre Kreditkarte im Dorf zurücklässt und diese wenig später von einem greisen Eingeborenen gefunden wird, ist dort (natürlich) nur ihr tatsächlicher Filmname zu lesen: Gloria Davis - von einer Dina weit und breit keine Spur. Ein typischer Fall von Kreditkartenbetrug also, wenn auch kaum anzunehmen ist, dass die Unstimmigkeit überhaupt jemandem im Verlauf des Films auffällt. Der Wandel von Rudy zu Gary verlief zumindest gänzlich unbemerkt. Der deutsche Verleih ALEMANNIA/ARABELLA legte großen Wert darauf, nicht den Verdacht zu erwecken, es könnte sich hier gar um ein Geschwisterpaar teutonischer Prägung handeln. Alles, nur nicht das!

Ebenso störend waren offensichtlich auch einige Szenen im Film, die nicht nur ausschließlich vor Gewalt strotzten. Das komplette Ende, bei dem Dina/Gloria für ihre Arbeit mit dem Titel "Cannibalism - End of a Myth" eine Auszeichnung und ihren ersehnten Doktortitel bekommt (und den sie immerhin mit einem ziemlichen Schweppes-Gesicht entgegennimmt), ist in der deutschen Fassung leider gänzlich entfernt worden. Stattdessen endet der Film abrupt nach Dinas/Glorias Rettung aus dem Dschungel mit ein paar schönen Impressionen der New Yorker Skyline. Den Rest darf sich der Betrachter selber zusammenreimen.

Entfernt wurde zudem eine Szene, in der Dina/Gloria und Pat in ihrem Gefängnis hocken und ihre Ängste durch das zaghafte Anstimmen des folkloristischen Songs "Red River Valley" zu unterdrücken versuchen. Und dass auch noch kräftig Gewalt aus dem Film geflogen ist, versteht sich ja sowieso von selbst - von den Großaufnahmen von Giovannis "Radieschen-Stummel" sowie dem Durchbohren der Brüste Zora Kerovas ist in der deutschen Erstauswertungsfassung nur noch ansatzweise etwas vorhanden.

Dafür werden alle Tiertötungen exzessiv bis zum geht nicht mehr ausgespielt. Und die sind letzten Endes noch viel, viel unschöner anzusehen als das Aufspielen der italienischen Effektkünstler im Genitalbereich. Egal ob Schwein, Krokodil oder kleiner Bär, alles wird für das Kameraauge geopfert, das sich nahezu in diesen Szenen suhlt wie die Sau im Schlamm. Gerade diese Bilder haben das Subgenre des Kannibalenfilms nachhaltig geprägt und damit [Anm.: zurecht] in Verruf gebracht - selbst bei hartgesottenen Fans, die sonst vor keiner auf Zelluloid gebannten [Anm.: fiktiven] Gemeinheit zurückschrecken.

Anders als beim Kollegen Deodato, der vor allem im Vorzeigestück CANNIBAL HOLOCAUST die "Tier-Szenen" mit einem gewissen Maß an "quälender Intensität" inszenierte, triumphiert bei Lenzi allgemeine Schaulust, die zu allem Übermaß auch noch darin gipfelt, dass den Schauspielern nach solchen Darbietungen möglichst zynisch-dümmliche Kommentare in den Mund gelegt werden. Gerade besagte Szenen sind dafür verantwortlich, dass bei CANNIBAL FEROX - ebenso wie bei dem von Lenzi für das Abspiel in den örtlichen Schlachthäusern heruntergekurbelten MANGIATI VIVI! (aka LEBENDIG GEFRESSEN) - ein sehr, sehr fader Nachgeschmack bleibt.

Ein wenig Auflockerung [Anm.: bzw. "Erholung"] bringt im Fall von CANNIBAL FEROX lediglich der eingestreute Subplot, der von Drogengeschäften im fernen New York zu erzählen weiß und immer wieder in kurzen (jedoch willkommenen) Zwischenszenen aufgegriffen wird. Die mit zwei Erzählebenen operierende Technik lässt sich im übrigen auch in MANGIATI VIVI! wiederfinden und gehört bei Herrn Lenzi scheinbar fest ins Leistungsverzeichnis.

Interessant auch, dass die kurzen Zwischensegmente hervorragende Darsteller zu bieten haben: Robert Bolla und Venantino Venantini mühen sich redlich um Qualität. So recht etwas zu tun haben sie jedoch eigentlich nicht. Die Dschungel-Haudegen dagegen umso mehr.

Natürlich brilliert Giovanni Lombardo Radice (LA CASA SPERDUTA NEL PARCO aka DER SCHLITZER, PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI aka EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL, APOCALISSE DOMANI aka ASPHALT-KANNIBALEN, GIANT KILLER) in seiner Rolle als Bösewicht außerordentlich. Diese scheint ihm wie auf dem Leib geschrieben, wenngleich er nach eigenem Bekunden an den Aufnahmen zu CANNIBAL FEROX mehr aus finanziellen Gründen sowie wegen der Aussicht auf billige Drogen teilnahm und sich heute etwas für den Film schämt.

Während Zora Kerova (frisch aus den Fängen des MAN-EATERs entkommen und HEMMUNGSLOSE EROTIK sowie DAS SÜSSE LEBEN DER NONNE VON MONZA mehr als leid), die mit Umberto Lenzi schon einschlägige Erfahrung in dem Actioner DIE VIPER sammeln konnte, als Schlampe vom Dienst den Nudity-Part in CANNIBAL FEROX mal wieder allein bestreitet, darf EINE FRAU FÜR DIE NACHT, Lorraine De Selle, den einzig ernsteren Part zum Besten geben. Eine Fingerübung für die etwas knittergesichtige Dame, welche bereits die Attacken von David Alexander Hess und dem Kollegen Radice in LA CASA SPERDUTA NEL PARCO (aka DER SCHLITZER) überlebt hat, sich in Bruno Matteis KZ 9 - LAGER DI STERMINO (aka WOMEN'S CAMP 119) als Arzthelferin bei schlimmen Experimenten verdingen musste, neben Joe Dallesandro in TOY aufspielte und zusammen mit Laura Gemser und Gabriele Tinti in den beiden LAURA-Abenteuern zu sehen war.

Gerade dieser illustren Auswahl an Darstellern, die agieren zu sehen sehr viel Spaß bereitet, ist zu verdanken, dass CANNIBAL FEROX nicht gänzlich den Bach runterrauscht.

Zur Ehrenrettung Umberto Lenzis muss erwähnt werden, dass seine drei Ausflüge in den Dschungel der Kannibalen nicht unbedingt seine Aushängeschilder sind, obwohl er in Fankreisen gerade wegen dieser Ungeheuerlichkeiten berühmt und berüchtigt ist. Lenzi - im übrigen auf CANNIBAL FEROX selbst richtig schlecht zu sprechen - bewies mit vielen knallharten und sehr unterhaltsamen Polizeifilmen - viele davon mit Stars wie Tomas Milian, Maurizio Merli, Henry Silva, Ray Lovelock und Franco Nero besetzt - sowie Ausflügen in die Gefilde des klassischen (aber oftmals peinlich-albernen) Abenteuerfilms, zu dessen Glanzstücken sicherlich SANDOKAN, ZORRO GEGEN MACISTE und EINER GEGEN SIEBEN zählen, immerhin ein gewisses Talent. [Anm.: seine wunderbaren Gialli nicht zu vergessen!] Auch mit seinem INCUBO SULLA CITTÀ CONTAMINATA (aka GROSSANGRIFF DER ZOMBIES) konnte er die Massen begeistern, so dass die Kannibalen-Schocker vergleichsweise schlecht dastehen und eher als substanzloses Futter für die Kino-Klapsmühlen rund um den Hauptbahnhof durchgehen. Zumindest anno 1981.

Nur zu lebendig ist auch die Erinnerung an die damalige Marketingkampagne, welche CANNIBAL FEROX hierzulande zuweilen in einem eher Hollywood gerecht werdenden Stil bewarb. Für heutige Verhältnisse völlig undenkbar sind die von einigen Kinos angemieteten Schaukästen in Bahnhöfen, die mit Plakaten, Aushangfotos und groß ausgedruckten Werbeslogans anlässlich des Starts auf das Machwerk publikumswirksam für alle Altersschichten hinwiesen. Fragen ließen die offenherzigen Bilder zumindest keine offen, darüber aufgeregt hat sich 1981 aber auch niemand.

Dabei hatte es der Film nicht so leicht: Bereits für einen Start im März 1981 unter dem Titel DSCHUNGEL DER KANNIBALEN angesetzt, waren zur Erlangung einer Freigabe oben beschriebene Schnitte nötig. Und dass beim ALEMANNIA/ARABELLA-Filmverleih seinerzeit straffende und im Vorfelde ausgeführte Handlungsschnitte öfter mal zum guten Ton gehörten, stellt Lenzis Werk einmal mehr unter Beweis.

Obwohl CANNIBAL FEROX in erster Linie für den deutschen Markt konzipiert wurde, der nach dem durchschlagenden Erfolg der beiden MONDO CANNIBALE-Filme, die für den SCOTIA-Filmverleih viel Geld eingespielt hatten, nach mehr lechzte, gab es immer wieder starke Zensurprobleme um Lenzis Film. Und auch wenn die amerikanische Schlagzeile "Banned in 31 countries!", die seit dem ähnlich lautenden Slogan für die US-Auswertung von HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT (aka MARK OF THE DEVIL) von vornherein sehr abgestanden wirkt, nach den Sternen greift, ist doch festzuhalten, dass sich Filmzensoren und auch staatliche Exekutive mit CANNIBAL FEROX mehr als einmal nachhaltig zu beschäftigen haben.

In Frankreich vor der Liberalisierung der Freigaberichtlinien gestartet, hat der Streifen bei seiner Erstaufführung ebenso gehörig Federn lassen müssen wie natürlich in England, wo die Zensoren seinerzeit zusätzlich zu den ganz schlimmen Menschenverunstaltungen auch penibel sämtliche Tiertötungen aus dem Film entfernten. Ohne diese Schnittauflagen hätte das Werk nach seiner Beschlagnahme nicht noch einmal auf das hiesige, nach billigen Schock gierende Videopublikum losgelassen werden dürfen. Ebenso konnte es in Deutschland nicht ausbleiben, dass CANNIBAL FEROX im Zuge der Videoinquisition Mitte der 80er Jahre Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchungen wurde und seitdem ein eher trübsinniges Dasein in der Liste der schwer jugendgefährdenden Schriften führt.

Für das jugendliche Publikum ist der Film ganz sicher nicht gedacht - auch wenn Lorraine De Selle die These "Es gibt keinen Kannibalismus!" wie einen schulischen Lehrsatz in die Schädel der Zuschauer zu hämmern versucht.

Außerdem: Es gibt ihn doch! Bei Herrn Lenzi in Breitwand, Farbe und in allen schillernden Details nur allzu ausgiebig zu bewundern ...

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